Gino Severini
Gino Severini war ein italienischer Maler, der als Bindeglied zwischen Futurismus und Kubismus gilt. Geboren am 7. April 1883 in Cortona, Italien, erlebte er die wichtigsten künstlerischen Strömungen des 20. Jahrhunderts aus erster Hand. Sein Werk verbindet die Dynamik des Futurismus mit den strukturellen Prinzipien des Kubismus und zeigt dabei eine unverwechselbare Handschrift. Besonders faszinierte ihn die Darstellung von Bewegung, die er durch rhythmische Linien, Farbkontraste und geometrische Formen in seinen Werken einfing.
Wichtige Werke und Ausstellungen
- Der Tanz des „Pan Pan“ im Monico (La Danse du „Pan Pan“ au Monico, 1911) – Rekonstruktion im Museo del Novecento, Mailand
- Dynamisches Hieroglyphenbild des Bal Tabarin (La hiéroglyphe dynamique du Bal Tabarin, 1912) – Museum of Modern Art, New York
- Der Boulevard (Le Boulevard, 1910–1911) – Estorick Collection, London
- Erinnerungen an eine Reise (Souvenirs de Voyage, 1911) – Privatsammlung
- Rotes Kreuz-Zug passiert ein Dorf (Train de la Croix-Rouge traversant un village, 1915) – Privatsammlung
- Zwei Pulcinellas (Les Deux Pulcinellas, 1922) – Privatsammlung
- Stillleben mit Violine (Nature morte avec violon, 1918) – Privatsammlung
- Argentinischer Tango (Tango Argentin, 1913) – Estorick Collection, London
- Der Radfahrer (Le Cycliste, 1956) – Privatsammlung
- Harlekin (Arlequin, 1965) – Privatsammlung
Künstlerische Entwicklung
Frühe Karriere und Ausbildung
Aufgewachsen in bescheidenen Verhältnissen, zeigte Severini früh ein Interesse an Kunst. Seine schulische Laufbahn endete abrupt, als er mit Freunden versuchte, Prüfungsfragen zu stehlen. Ohne formale Schulbildung zog er 1899 mit seiner Mutter nach Rom, wo er sich mit Gelegenheitsarbeiten durchschlug und sich autodidaktisch weiterbildete. Dort traf er auf Umberto Boccioni, der wie er nach einer neuen künstlerischen Ausdrucksform suchte. Gemeinsam besuchten sie das Atelier von Giacomo Balla, der ihnen die Technik des Divisionismus näherbrachte. Diese Technik, die Farben in kleine Punkte oder Striche auflöste, beeinflusste Severinis frühe Werke und bereitete ihn auf seine spätere Hinwendung zum Futurismus vor.
Wichtige Stationen und Werke
Aufbruch nach Paris und Begegnung mit der Avantgarde
1906 entschloss er sich, nach Paris zu ziehen, um sein künstlerisches Schaffen weiterzuentwickeln. In Montmartre fand er schnell Anschluss an die dortige Avantgarde-Szene. Der Austausch mit Künstlern wie Pablo Picasso, Juan Gris und Amedeo Modigliani prägte sein Verständnis von moderner Kunst und bestärkte ihn in seiner Suche nach neuen Ausdrucksformen.
Manifest und futuristische Bildsprache
1910 unterzeichnete er gemeinsam mit Balla, Boccioni, Carrà und Russolo das Manifest der futuristischen Maler, das den Bruch mit traditionellen Darstellungsweisen forderte und Bewegung als zentrales Thema der Kunst etablierte. Mit dem Werk Dynamisches Hieroglyphenbild des Bal Tabarin (1912) setzte er diese Forderungen eindrucksvoll um. Das Gemälde gilt als Meilenstein futuristischer Malerei und fängt die flirrende Energie des Pariser Nachtlebens auf einzigartige Weise ein.
Stilwandel im Zeichen des Kubismus
Während des Ersten Weltkriegs entfernte sich der Künstler zunehmend vom Futurismus und ließ sich von kubistischen Ansätzen inspirieren. Werke wie Stillleben mit Violine (1918) zeigen seine Hinwendung zu konstruktiv aufgebauten Kompositionen und eine zunehmende Auseinandersetzung mit Form, Fläche und Ordnung.
Severinis Rückkehr zur Klassik
In den 1920er Jahren vollzog Severini einen stilistischen Wandel. Er beschäftigte sich mit der Proportionslehre der Renaissance und integrierte klassische Elemente in seine Arbeiten. Besonders in seinen Pulcinella-Darstellungen wird sein Interesse an klarer Struktur und historischer Formensprache deutlich – eine bewusste Abkehr von der früheren Dynamik des Futurismus zugunsten einer neuen formalen Disziplin.
Stilmerkmale
- Dynamik und Bewegung: Die Darstellung rhythmischer Abläufe spielte in seinen Bildern eine zentrale Rolle.
- Farbintensität: Starke Farbkontraste unterstrichen die Dynamik seiner Werke.
- Geometrische Formen: Der Einfluss des Kubismus zeigt sich in seinen klaren Strukturen.
- Theatralische Motive: Er nutzte oft Figuren aus der Commedia dell’arte.
- Synthese von Stilen: Er verband futuristische und klassizistische Elemente.
Techniken und Materialien
Severini arbeitete mit verschiedenen Medien, darunter Ölmalerei, Mosaik und Fresko. Seine frühen Werke wurden durch den Divisionismus geprägt, später experimentierte er mit kubistischen Methoden und Collage-Techniken. In den 1930er Jahren begann er, Mosaike zu gestalten, die ihn bis in seine späten Jahre begleiteten.
Severinis Einfluss und Vermächtnis
Severini verband die künstlerischen Strömungen seiner Zeit auf einzigartige Weise und inspirierte zahlreiche Künstler. Besonders stark war sein Einfluss auf die italienische Avantgarde, aber auch auf internationale Künstler. Er beeinflusste unter anderem Fernand Léger, der seine Farbkontraste und die Darstellung von Bewegung aufgriff, sowie die späteren Werke von Robert und Sonia Delaunay, die sich mit farblichen Rhythmen und Simultankontrasten auseinandersetzten. Sein theoretisches Werk „Du Cubisme au Classicisme“ (1921) prägte zudem zahlreiche Künstler der Zwischenkriegszeit, darunter Giorgio de Chirico und Gino Bonichi. Seine Arbeiten sind heute in den bedeutendsten Museen der Welt zu finden und zeugen von seiner Vielseitigkeit.
Gino Severini: Die wichtigsten Fakten
- Geboren am 7. April 1883 in Cortona, Italien.
- Mitbegründer des Futurismus und Unterzeichner des „Manifests der futuristischen Malerei“ (1910).
- Vermittelte zwischen Futurismus und Kubismus.
- Berühmte Werke: „Dynamisches Hieroglyphenbild des Bal Tabarin“, „Stillleben mit Violine“.
- Wurde nach dem Ersten Weltkrieg klassizistischer.
- Arbeitete mit Öl, Fresko und Mosaik.
- Schrieb das Buch „Du Cubisme au Classicisme“.
- War Teilnehmer der documenta I (1955) und documenta III (1964).
Gino Severini war ein zentraler Vermittler zwischen den großen künstlerischen Bewegungen des frühen 20. Jahrhunderts. Als Mitunterzeichner des futuristischen Manifests verankerte er sich zunächst in der Dynamik der Moderne, öffnete sich jedoch früh auch den formalen Strukturen des Kubismus. Seine Werke verbinden rhythmische Komposition, farbliche Spannung und intellektuelle Reflexion. Ob als Beobachter des Pariser Nachtlebens, als Erforscher klassischer Proportion oder als Mosaikkünstler – Severini verstand es, Wandel zum Prinzip seiner Kunst zu machen. Er verstarb am 26. Februar 1966 in Paris im Alter von 82 Jahren.