Egon Schiele
Egon Schiele war ein österreichischer Maler, der mit seinen expressiven Werken die Wiener Moderne entscheidend mitprägte. Geboren am 12. Juni 1890 in Tulln an der Donau, galt er früh als hochbegabt, verließ aber die akademische Malerei zugunsten eines radikal individuellen Stils. Seine oft verstörenden Darstellungen von Körpern, geprägt von kantigen Linien und verzerrten Proportionen, riefen in seiner Zeit Bewunderung und Ablehnung zugleich hervor. Er beschäftigte sich intensiv mit Selbstporträts, Akten und psychologisch aufgeladenen Porträts. Neben seinen figurativen Arbeiten schuf er auch Stadtansichten, die besonders in seiner Zeit in Krumau entstanden. Durch seine Förderer, darunter Gustav Klimt und Arthur Roessler, fand er früh Zugang zur Kunstszene Wiens. Die Wiener Secession widmete ihm 1918 eine umfassende Ausstellung, die seinen Durchbruch bedeutete. Nur wenige Monate später endete sein Leben tragisch – die Spanische Grippe nahm ihm am 31. Oktober 1918 mit nur 28 Jahren das Leben.
wichtige Werke und Ausstellungen
- Die Ernte, Pontoise (La Récolte à Pontoise, 1877) – Metropolitan Museum of Art, New York
- Bildnis Wally Neuzil (1912) – Leopold Museum, Wien
- Tote Stadt III (1911) – Leopold Museum, Wien
- Selbstbildnis mit an die Brust gelegten Händen (1910) – Kunsthaus Zug
- Tod und Mädchen (1915) – Belvedere, Wien
- Die Eremiten (1912) – Österreichische Galerie Belvedere, Wien
- Hauswand (Fenster) (1914) – Belvedere, Wien
- Porträt Eduard Kosmack (1910) – Belvedere, Wien
- Liegende Frau (1916) – Privatbesitz (versteigert für 2,4 Mio. USD)
- Fräulein Beer (1914) – Privatbesitz
Künstlerische Entwicklung
Frühe Karriere und Ausbildung
Die ersten Jahre seines Lebens waren von familiären Umbrüchen geprägt. Sein Vater, der als Bahnhofsvorstand in Tulln tätig war, verstarb 1904 nach langer Krankheit an Syphilis. Der Tod des Vaters bedeutete nicht nur den wirtschaftlichen Ruin der Familie, sondern hinterließ auch bei Schiele eine tiefe emotionale Wunde. Sein Onkel Leopold Czihaczek, der die Vormundschaft übernahm, drängte ihn zu einer technischen Laufbahn, doch Schieles künstlerische Begabung war unübersehbar. Unterstützt von seinem Zeichenlehrer Ludwig Karl Strauch sowie dem Klosterneuburger Künstler Max Kahrer, bewarb er sich 1906 erfolgreich an der Akademie der bildenden Künste Wien.
Dort geriet er jedoch rasch in Konflikt mit dem konservativen Maler Christian Griepenkerl, dessen starrer Historismus nicht mit Schieles künstlerischen Vorstellungen vereinbar war. Bereits nach zwei Jahren verließ er die Akademie freiwillig und gründete mit anderen jungen Künstlern die Neukunstgruppe, um neue Wege in der Malerei zu beschreiten.
Wichtige Stationen und Werke
Einfluss Gustav Klimts auf Schieles Werk
Schon während seiner Akademiezeit suchte Schiele den Kontakt zu Gustav Klimt, der ihm ein väterlicher Freund wurde. Klimt, bereits eine bedeutende Figur der Wiener Kunstszene, erkannte sein Talent und unterstützte ihn, indem er Werke von ihm kaufte und ihm wichtige Sammler und Galeristen vorstellte. Dank Klimts Vermittlung wurde Schiele erstmals einem breiteren Publikum bekannt.
Exil in Krumau und Skandale in Neulengbach
1911 zog er mit seinem Modell Wally Neuzil, die zuvor für Klimt gearbeitet hatte, nach Krumau. Die Stadt wurde für ihn eine künstlerische Inspirationsquelle, doch sein unkonventioneller Lebensstil führte zu Spannungen mit der konservativen Bevölkerung. Schließlich verließ er Krumau und ließ sich in Neulengbach nieder, wo es 1912 zu seiner spektakulären Verhaftung kam. Wegen des Vorwurfs der „Verbreitung unsittlicher Zeichnungen“ verbrachte er 24 Tage in Untersuchungshaft. Diese Erfahrung beeinflusste seine Kunst nachhaltig – Gefängnisskizzen, die während seiner Haftzeit entstanden, reflektieren Isolation und existenzielle Ängste.
Militärdienst und späte Jahre
1915 wurde er in den Kriegsdienst einberufen, konnte aber aufgrund seines Status als Künstler eine eher administrative Rolle übernehmen. Er nutzte diese Zeit, um Offiziere und Kriegsgefangene zu porträtieren. Gleichzeitig entstanden einige seiner kraftvollsten Werke, darunter „Die Eremiten“. Im Frühjahr 1918 erreichte er den Höhepunkt seiner Karriere mit der großen Ausstellung in der Wiener Secession, in der 19 Gemälde und 29 Zeichnungen gezeigt wurden.
Stilmerkmale
- Expressive Linienführung – Scharfkantige, oft gebrochene Linien verleihen seinen Figuren eine nervöse Spannung.
- Übersteigerte Proportionen – Hände und Gliedmaßen wirken überlängt oder abgemagert.
- Farbpalette – Gedämpfte Erdtöne, rostige Rottöne und blasse Hautfarben dominieren.
- Psychologische Intensität – Seine Figuren wirken oft melancholisch, gequält oder introspektiv.
- Erotische Direktheit – Besonders seine weiblichen Akte provozierten zu seiner Zeit und wurden als obszön kritisiert.
Techniken und Materialien
Schiele arbeitete bevorzugt mit Gouache, Aquarell und Tinte auf Papier. Seine Zeichnungen entstanden meist in einem fließenden, aber energiegeladenen Stil. Ab 1914 experimentierte er zudem mit Holzschnitten und Radierungen, die ihm neue Ausdrucksmöglichkeiten eröffneten.
Schieles Einfluss und Vermächtnis
Seine Kunst wurde nach seinem Tod zunehmend anerkannt und beeinflusste viele Künstler der Moderne. Besonders Francis Bacon, Jean-Michel Basquiat und Lucian Freud ließen sich von seiner verzerrten Darstellung des Körpers inspirieren. Auch Oskar Kokoschka, sein Zeitgenosse, übernahm einige Elemente seines expressiven Stils. In Wien gehören das Leopold Museum, die Albertina und das Belvedere zu den wichtigsten Sammlern seiner Werke.
Egon Schiele: Die wichtigsten Fakten
- Geboren am 12. Juni 1890 in Tulln an der Donau.
- Studierte an der Akademie der bildenden Künste Wien, verließ sie aber vorzeitig.
- Enge Verbindung zu Gustav Klimt, der ihn förderte.
- Neukunstgruppe als Plattform für seine künstlerischen Ideen gegründet.
- 1912 verhaftet wegen angeblich unsittlicher Zeichnungen.
- Während des Kriegs als Militärzeichner tätig.
- 1918 große Ausstellung in der Wiener Secession.
- Am 31. Oktober 1918 in Wien an der Spanischen Grippe verstorben.
Egon Schiele hinterließ in nur wenigen Jahren ein Werk von großer emotionaler Wucht und radikaler Eigenständigkeit. Seine Kunst ist nicht gefällig, sondern fordert heraus – mit schonungsloser Intimität, verstörender Körperlichkeit und einer Bildsprache, die tief in die psychischen Abgründe seiner Zeit blickt. Schieles Blick auf den Menschen war gnadenlos offen und zugleich zutiefst sensibel. Was zu Lebzeiten Empörung auslöste, gilt heute als visionär. Seine Fähigkeit, das Innere sichtbar zu machen, macht ihn zu einem der eindringlichsten Künstler des 20. Jahrhunderts. Egon Schiele starb im Alter von 28 Jahren am 31. Oktober 1918 in Wien.