Raoul Hausmann
Raoul Hausmann, geboren am 12. Juli 1886 in Wien, war ein österreichischer Künstler, Schriftsteller und Theoretiker, der als treibende Kraft der Berliner Dada-Bewegung bekannt wurde. Seine experimentellen Arbeiten in Fotomontage, Lautpoesie und radikaler Gesellschaftskritik prägten die Kunstwelt nachhaltig. Zeit seines Lebens strebte er danach, bestehende Konventionen zu brechen und neue Ausdrucksformen zu entwickeln. Als vielseitiger Avantgardist verband er Kunst, Wissenschaft und Philosophie in einer einzigartigen Weise. Seine Werke, die oft ironisch und provokativ waren, spiegelten seinen intellektuellen Anspruch wider, die Kunst von überholten Traditionen zu befreien und neue Wahrnehmungsweisen zu eröffnen.
Wichtige Werke und Ausstellungen
- Mechanischer Kopf (Der Geist Unserer Zeit) (ca. 1920) – Sammlung der Berlinischen Galerie, Berlin
- ABCD (Selbstporträt) (1923–24) – Musée National d’Art Moderne, Paris
- Tatlin lebt zu Hause (1920) – Museum of Modern Art, New York
- Der Kunstkritiker (1919–20) – Staatliche Museen zu Berlin, Berlin
- Dada Siegt (1920) – Museum of Modern Art, New York
- Ohne Titel (Selbstporträt mit Kamera) (1920) – J. Paul Getty Museum, Los Angeles
- Ohne Titel (Frauenakt) (1927) – International Center of Photography, New York
- Ohne Titel (Landschaft auf Ibiza) (1933) – Musée Départemental d’Art Contemporain, Rochechouart
- Ohne Titel (Porträt von Hannah Höch) (1919) – Sammlung der Berlinischen Galerie, Berlin
- Ohne Titel (Fotogramm) (1923) – Museum of Modern Art, New York
Künstlerische Entwicklung
Frühe Karriere und Ausbildung
Im Jahr 1900 zog Hausmann mit seiner Familie nach Berlin, wo sein Vater als Porträtmaler arbeitete. Hier erhielt er seine ersten künstlerischen Anregungen, da ihn sein Vater in die Techniken des Zeichnens und Malens einführte. Von 1908 bis 1911 besuchte er die von Arthur Lewin-Funcke geleiteten Studien-Ateliers für Malerei und Plastik in Charlottenburg. Sein frühes Werk war zunächst stark vom Jugendstil beeinflusst, doch sein Kontakt zu den Künstlern der Expressionismusbewegung, insbesondere Erich Heckel und Ludwig Meidner, führte ihn zu einer experimentelleren Herangehensweise. Ab 1912 wandte er sich von der akademischen Kunst ab und begann mit expressionistischen Lithografien und Holzschnitten, inspiriert durch die Künstler der Brücke sowie durch den italienischen Futurismus.
Wichtige Stationen und Werke
Fotomontage und Dada: Hausmanns Aufbruch in die Avantgarde
Die Begegnung mit Hannah Höch im Jahr 1915 leitete einen entscheidenden Wandel im Werk von Raoul Hausmann ein. Gemeinsam entwickelten sie die Technik der Fotomontage – eine Collageform aus Zeitungsausschnitten, Fotografien und typografischen Fragmenten, die politische und gesellschaftliche Aussagen in radikaler Form transportierte. Hausmann war 1918 Mitbegründer des Berliner Club Dada und gestaltete mit Richard Huelsenbeck und Johannes Baader zentrale Publikationen und Aktionen der Bewegung, darunter die Zeitschrift Der Dada und mehrere Manifeste.
Der Geist unserer Zeit: Dada-Messe und ikonische Objekte
Ein Höhepunkt seines dadaistischen Schaffens war die Teilnahme an der Ersten Internationalen Dada-Messe 1920 in Berlin, gemeinsam mit George Grosz und John Heartfield. Mit dem Objekt Mechanischer Kopf (Der Geist Unserer Zeit) – einem mit technischen Geräten bestückten Holzkopf – lieferte Hausmann eine ironische Kritik an der technikgläubigen Gesellschaft seiner Epoche. Nach dem Zerfall der Bewegung zu Beginn der 1920er-Jahre konzentrierte er sich zunehmend auf die Fotografie und begann 1926 mit der Arbeit an seinem Roman Hyle, in dem er philosophische Fragen zu Wahrnehmung und Identität verhandelte.
Flucht, Exil und ethnografische Studien
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurde Hausmanns Werk als „entartete Kunst“ diffamiert. Er floh nach Ibiza, wo er das Alltagsleben und die Baukultur fotografisch dokumentierte. Seine ethnografischen Studien erschienen in verschiedenen Zeitschriften. Mit dem Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs floh er erneut, über Prag und Zürich nach Limoges in Frankreich. Dort lebte er unter prekären Bedingungen und unterrichtete zeitweise als Sprachlehrer.
Spätwerk zwischen Theorie, Experiment und Erinnerung
Trotz der schwierigen Umstände blieb Hausmann auch im Exil künstlerisch und theoretisch aktiv. Ab 1946 widmete er sich der experimentellen Fotografie und entwickelte die Technik des Fotopiktogramms – eine kameralose Bildmethode, die abstrakte Konzepte sichtbar machte. Parallel dazu begann er mit der systematischen Dokumentation und Reflexion seiner Beiträge zum Dadaismus. Seine theoretischen Arbeiten trugen wesentlich zur späteren Rezeption der Bewegung bei und festigten seinen Platz in der Kunstgeschichte der Moderne.
Stilmerkmale
- Fotomontage: Die Kombination von Fotografien, typografischen Elementen und Zeitungsausschnitten als Mittel der gesellschaftlichen Satire und Kritik.
- Lautgedichte: Wortspiele und phonetische Experimente, die die Sprache dekonstruieren und den Klang in den Vordergrund stellen.
- Assemblage: Die Verwendung gefundener Objekte zur Schaffung dreidimensionaler Kunstwerke, die als Kommentar zur modernen Gesellschaft dienten.
- Experimentelle Fotografie: Unkonventionelle Perspektiven, Doppelbelichtungen und Fotogramme, die das traditionelle Fotografieverständnis herausforderten.
Techniken und Materialien
Hausmann arbeitete mit einer Vielzahl von Materialien und Techniken. Neben seinen Fotomontagen verwendete er Zeitungsausschnitte, Holz, Metall und Alltagsgegenstände für seine Assemblagen. Seine experimentellen Fotografien setzten auf Spiegelungen, Mehrfachbelichtungen und ungewöhnliche Blickwinkel. Darüber hinaus beschäftigte er sich mit Typografie und grafischem Design, um seine avantgardistischen Ideen auch in der Gestaltung von Zeitschriften und Büchern zu verwirklichen.
Hausmanns Einfluss und Vermächtnis
Hausmanns radikales Schaffen hatte einen nachhaltigen Einfluss auf zahlreiche Künstler und Bewegungen des 20. Jahrhunderts. Seine Pionierarbeit in der Fotomontage inspirierte Künstler wie John Heartfield und Richard Hamilton. Die Lautgedichte fanden Widerhall in der Konkreten Poesie, insbesondere bei Ernst Jandl. Seine experimentellen Arbeiten zur Wahrnehmung beeinflussten spätere multimediale Kunstformen. Darüber hinaus beeinflusste er Künstler wie László Moholy-Nagy, Hans Richter, Kurt Schwitters und die Fluxus-Bewegung.
Raoul Hausmann: Die wichtigsten Fakten
- Geboren am 12. Juli 1886 in Wien.
- Mitbegründer des Berliner Dadaismus.
- Entwicklung der Fotomontage gemeinsam mit Hannah Höch.
- Organisator der Ersten Internationalen Dada-Messe 1920.
- Emigration nach Ibiza, später Frankreich.
- Experimente mit Fotografie, Lautpoesie und Assemblagen.
Hausmann hinterließ ein vielgestaltiges Werk, das sich keiner Disziplin eindeutig zuordnen lässt. Bis zuletzt arbeitete er an theoretischen Schriften, Textcollagen und fotografischen Studien, die seine lebenslange Suche nach einer „neuen Sicht“ fortsetzten. Trotz materieller Not und politischem Exil hielt er unbeirrt an seinem Anspruch fest, Kunst als kritische Reflexion der Wirklichkeit zu begreifen.
Raoul Hausmann blieb bis ins hohe Alter ein rastloser Geist, der Konventionen infrage stellte und künstlerische Grenzen immer wieder neu definierte. Seine radikale Haltung gegenüber Gesellschaft, Sprache und Bild prägte die Entwicklung der modernen Kunst in entscheidender Weise. Am 1. Februar 1971 starb er im Alter von 84 Jahren in Limoges, Frankreich, wo er seit seiner Flucht vor dem Nationalsozialismus gelebt hatte.